Verbände befürchten Gläubigerbenachteiligung durch Fiskusprivileg in neuem Insolvenzrecht

In einer gemeinsamen Erklärung begrüßen mehrere Wirtschaftsverbände ausdrücklich, dass der Gesetzgeber die Sanierung von insolventen Unternehmen erleichtern will. Sie warnen jedoch vor einer einseitigen Bevorzugung des Staates zulasten aller übrigen Gläubiger, zu denen sehr häufig mittelständische Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen gehören.

Gestern hat der Bundestag über das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) beraten. Die unten genannten Verbände begrüßen dabei grundsätzlich die Initiative des Gesetzgebers, insolventen Unternehmen eine Sanierung zu erleichtern, und sie schließen in ihre positive Haltung ausdrücklich auch solche Maßnahmen ein, die eine verstärkte Beteiligung von Gläubigern vorsehen.

Fiskusprivileg gefährdet Sanierung von Unternehmen
Mit großer Sorge beobachten die Verbände allerdings aktuelle gesetzliche Regelungen und die höchstrichterliche Rechtsprechung zur einseitigen Bevorzugung des Fiskus. Eine solche Privilegierung von Steuerforderungen würde unweigerlich alle übrigen Gläubiger benachteiligen. Dabei war es eine der zentralen Errungenschaften der 1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung, dass die damaligen Konkursvorrechte abgeschafft wurden, zu denen eben auch die bevorzugte Befriedigung des Staates gehörte. Aus Sicht der Gläubiger ist es daher nicht hinnehmbar, dass nunmehr durch verschiedene Gesetzesvorhaben das Fiskusprivileg wieder eingeführt wird. „Der Staat nutzt dadurch seine Gesetzgebungskompetenz einseitig zulasten der übrigen Gläubiger aus“, so die Verbände in ihrer gemeinsamen Erklärung. „Dies gilt umso mehr, wenn der Gesetzgeber diese Änderungen der öffentlichen Diskussion einfach entzieht, indem er sie geschickt in Nebengesetzen wie etwa dem Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz versteckt.“

Die Verbände argumentieren: „Mit der Wiedereinführung des Fiskusprivilegs werden den Insolvenzverfahren dringend notwendige finanzielle Mittel entzogen. Hierdurch werden die Sanierung von Unternehmen und der Erhalt von Arbeitsplätzen gefährdet, wenn nicht sogar unmöglich gemacht. Es sind bereits erste namhafte Fälle bekannt, bei denen die bereits jetzt bestehenden Privilegien zugunsten des Fiskus zu einem Scheitern tragfähiger Insolvenzpläne und damit Sanierungen geführt haben. Als privilegierter Gläubiger hätte der Fiskus in Zukunft zudem keine Veranlassung mehr, durch eigene Zugeständnisse an Sanierungen mitzuwirken, um damit die unnötige Vernichtung von Unternehmenswerten und Arbeitsplätzen sowie die Bedrohung von bestehenden Lieferantenbeziehungen in der vernetzten Wirtschaft zu verhindern.“

Das hätte zur Folge, dass die übrigen Gläubiger die Lasten von Sanierungsmaßnahmen alleine tragen müssten. Das wiederum würde die Fähigkeit der übrigen Gläubiger zur Mitwirkung an solchen werterhaltenden Sanierungen erheblich einschränken. Die Verbände warnen, dass eine privilegierte Befriedigung des Fiskus aus der Masse Sanierungen in sehr vielen Fällen verhindern würde. Mangels entsprechender finanzieller Mittel könnten insbesondere die unabdingbaren Begleitmaßnahmen (zum Beispiel Sozialpläne und die Reorganisation von Betrieben) nicht mehr aus der Insolvenzmasse finanziert werden.

Die unten aufgeführten Verbände appellieren deshalb an den Gesetzgeber, die sinnvollen und notwendigen Reformen des Insolvenzrechts zur Verbesserung der Sanierungschancen von Unternehmen nicht durch gegenläufige Veränderungen der steuerlichen Rahmenbedingungen infrage zu stellen.

Sanierungs- und Steuerrecht müssen harmonisiert werden
Vor dem Hintergrund der aktuellen sanierungsfeindlichen Entwicklungen des Steuerrechts sehen die Verbände die dringende Notwendigkeit einer Harmonisierung von Sanierungsrecht und Steuerrecht, um auch in Zukunft die Sanierungschancen von Unternehmen im Insolvenzverfahren zu erhalten. Erste und vordringliche Schritte zu einer solchen Harmonisierung sollten zunächst durch Korrekturen der jüngsten Gesetzgebung (§ 55 Abs.4 InsO) eingeleitet werden. Denn die Anwendung und Interpretation dieser Regelung stoßen bereits heute, nur wenige Monate nach ihrem Inkrafttreten, auf gravierende Probleme. Zudem müsste in einer Sofortmaßnahme die durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes geschaffene und sanierungsfeindliche Interpretation des geltenden Rechts gestoppt werden, insbesondere durch die Entscheidungen vom 9. Dezember 2010 (Az. V R 22/10) und vom 28. Juli 2011 (Az. V R 28/09). „Nur mit diesen Sofortmaßnahmen können weitere negative Entwicklungen und damit die Gefährdung von Sanierungen verhindert werden“, so die Verbände.

In einem zweiten Schritt sollte durch eine von allen nachstehenden Verbänden getragene Kommission der notwendige Umfang und Inhalt der Harmonisierung ermittelt und Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Für die Dauer der Kommissionsarbeit wäre seitens des Gesetzgebers beziehungsweise der Finanzverwaltung sicherzustellen, dass sanierungsfeindliche Änderungen der Rechtsprechung die angestrebten Harmonisierungen nicht infrage stellen.

Die nachstehend aufgeführten Verbände bieten gegenüber dem Gesetzgeber und den beteiligten Ministerien ausdrücklich ihre Unterstützung bei der Lösung der geschilderten Probleme an und sind bereit, die Arbeit einer wissenschaftlichen Kommission zur Harmonisierung des Sanierungs- und Insolvenzrechtes insbesondere auch in Bezug auf das Steuerrecht aktiv zu begleiten.

BAKinso Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e.V.
BRAK Bundesrechtsanwaltskammer
BDI Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.
BDIU Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V.
BdSt Bund der Steuerzahler Deutschland e.V.
BDU Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e.V.
BvCM Bundesverband Credit Management e.V.
DAV Deutscher Anwaltverein e.V.
Die Deutsche Kreditwirtschaft
Gravenbrucher Kreis
GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.
Gesellschaft für Restrukturierung - TMA Deutschland e.V.
GSV Gläubigerschutzvereinigung Deutschland e.V.
VID Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V.
VJI Verband Junger Insolvenzverwalter e.V.

Quelle: Pressemitteilung BDIU