Zahlungsmoral klettert weiter – weniger Unternehmensinsolvenzen

Die Zahlungsmoral in Deutschland hat sich weiter verbessert. In der traditionellen Frühjahrsumfrage unter den 552 Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. (BDIU), Berlin, berichten jetzt 83 Prozent der Befragten, dass Rechnungen aktuell besser oder genauso gut wie im letzten Herbst beglichen werden.
 
"Die Zahlungsmoral ist heute so gut wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr", erläutert Wolfgang Spitz, Präsident des BDIU, am Donnerstag in Hamburg. "Grund ist der breite Aufschwung in allen Bereichen der Wirtschaft, der zudem von einer kräftigen Binnennachfrage gestützt wird", so Spitz weiter.
 
Weniger Schäden durch Unternehmensinsolvenzen
 
Die bessere Liquiditätssituation sorgt für eine weitere Entspannung bei den Unternehmensinsolvenzen. Deren Zahl geht auf voraussichtlich rund 30.000 zurück - nach 31.998 Firmenzusammenbrüchen im Vorjahr (minus sechs Prozent). Noch deutlicher ist der Rückgang bei den Insolvenzschäden. Im Krisenjahr 2009, als 32.687 Unternehmen zahlungsunfähig wurden, traf es viele Großunternehmen, der finanzielle Verlust für die Volkswirtschaft war beträchtlich. Seinerzeit betrugen die von den Gerichten erfassten voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger 85 Milliarden Euro - 2010 fiel dieser Wert auf 39 Milliarden Euro. "Diese Entspannung setzt sich fort", erläutert Spitz. "Es gibt derzeit keine Branche, die signifikant insolvenzanfällig wäre. Insolvenzen betreffen in aller Regel kleine und mittelgroße Firmen. Was wir jetzt sehen, ist eher die normale Insolvenzentwicklung, mit der eine Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland leben muss."
 
Eigenkapitalausstattung könnte besser sein
 
Dennoch müssen Unternehmen wachsam bleiben und ihre Versorgung mit Liquidität sichern. Befragt nach den Gründen, warum gewerbliche Schuldner aktuell ihre Rechnungen nicht wie vereinbart begleichen, nennen 79 Prozent der BDIU-Mitglieder hohe Zahlungsausfälle bei eigenen Kunden der Unternehmen. Weitere Gründe sind ein momentaner Liquiditätsengpass (70 Prozent der Umfrageteilnehmer bestätigen das) sowie eine schlechte Auftragslage (69 Prozent). "Hier hilft ein effizientes Forderungsmanagement", so   Spitz. "Risiken durch potenzielle Zahlungsausfälle müssen abgesichert werden. Wichtig ist dabei auch die Ausstattung mit ausreichend Eigenkapital." 54 Prozent der BDIU-Mitglieder berichten, dass eine zu dünne Eigenkapitaldecke Unternehmen derzeit am Begleichen ihrer Forderungen hindert.

Weniger Problembranchen – mit Ausnahme des Handwerks
 
Die meisten Kunden allerdings zahlen derzeit besser, und davon profitieren fast alle Wirtschaftsbereiche. Das zeigt ein Blick auf die sogenannten "Problembranchen" - Wirtschaftszweige, in denen nach Beobachtung der Inkassounternehmen die Rechnungstreue der Kunden zu wünschen übrig lässt. Hier hat es eine Entspannung auf der ganzen Linie gegeben, wie ein Vergleich mit dem Frühjahr 2010 belegt. So berichteten noch vor einem Jahr 65 Prozent der befragten Inkasso-unternehmen, dass die Kunden des Baugewerbes ihre Rechnungen schlecht bezahlen - jetzt melden das nur noch 50 Prozent. Noch deutlicher ist dieser Rückgang in der Dienstleistungsbranche. Aktuell melden 44 Prozent der Inkassounternehmen, dass die Kunden dieser Branche eine laxe Zahlungsmoral haben - und damit 20 Prozentpunkte weniger als noch vor einem Jahr (64 Prozent im Frühjahr 2010). Auch im verarbeitenden Gewerbe (neun Prozent nach 24 Prozent in 2010) und im Großhandel (zehn Prozent nach 18 Prozent in 2010) hat sich nach Beobachtung der Inkassounternehmen die Rechnungstreue erheblich verbessert.
 
Eine Ausnahme allerdings bildet das Handwerk. 56 Prozent der Inkassounternehmen bemängeln hier die Zahlungsmoral von Auftraggebern (Frühjahr 2010: 64 Prozent). "Zwar werden Handwerksleistungen derzeit wieder verstärkt nachgefragt", so Spitz. "Aber einige Kunden der Betriebe haben weiterhin mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen. Sie zögern das Bezahlen fälliger Rechnungen weit über den vereinbarten Termin hinaus und verlagern dadurch ihre eigenen Schwierigkeiten auf ihre Auftragnehmer. Dieses Phänomen beobachten wir vor allem bei der öffentlichen Hand."
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Verwaltungen zahlen zögerlich
 
Städte und Gemeinden begleichen nach Beobachtung der Inkassounternehmen auch nach Ende der Wirtschaftskrise Rechnungen ausgesprochen zögerlich. Fast alle befragten BDIU-Mitglieder berichten, dass Behörden aktuell genauso schlecht oder sogar noch schlechter als im vergangenen Herbst bezahlen (Zahlungsmoral unverändert: 86 Prozent; verschlechtert: zwölf Prozent).
 
Kommunen: Aus Haushaltslöchern werden Straßenlöcher
 
"Die Finanzierungskrise der öffentlichen Haushalte spitzt sich weiter zu", so Spitz. "Viele Bürger spüren erst allmählich, wie sehr sich das auf ihren Alltag auswirken wird." Denn diese Geldnot hat Folgen. Zahlreiche Kommunen planen für dieses Jahr Gebühren- und Abgabenerhöhungen. Zudem stellen Kämmerer bisher selbstverständliche kommunale Leistungen auf den Prüfstand, reduzieren sie oder schaffen sie ganz ab. Öffentliche Bäder, Theater und Museen müssen schließen oder kämpfen um ihr Überleben. Straßen, die nach dem harten Winter von Schlaglöchern übersät sind, werden nicht repariert. Allein für eine notdürftige Ausbesserung der Straßenschäden müssten die Kommunen nach Angaben des ADAC drei Milliarden Euro aufwenden - Ausgabepositionen, die derzeit niemand bewilligen mag.
 
"Kämmerer müssen jetzt alle ihre Einnahmepotenziale konsequent ausnutzen", fordert Spitz daher. "Alles andere wäre Sparen am Bürger und am Gemeinwohl." Eine konkrete Möglichkeit zur Verbesserung der Einnahmebasis sei die Zusammenarbeit der Verwaltungen mit Inkassounternehmen. "Das ist rechtlich möglich", betont Spitz. "Und einige Kommunen gehen hier bereits beispielhaft voran." Spitz nennt den Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Dieser will einen Teil seiner privatrechtlichen Forderungen noch in diesem Jahr an Inkassounternehmen verkaufen. Andere Städte und Gemeinden im ganzen Bundesgebiet arbeiten bereits mit Inkassounternehmen zusammen, zum Beispiel die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden.
 
13 Milliarden Euro offene Forderungen
 
Über 13 Milliarden Euro an Außenständen haben die Kommunen derzeit - alles unbezahlte Rechnungen, die aber nach wie vor fällig sind. "Inkassounternehmen könnten diese Forderungsbestände zum Beispiel auf ihre Werthaltigkeit überprüfen. Auf dieser Grundlage lässt sich entscheiden, welche weiteren Realisierungsbemühungen erfolgversprechend sind", erläutert Spitz. Die Städte selbst würden so von einer Tätigkeit entlastet, die nicht zu ihren Kernkompetenzen gehört - und könnten das Realisieren von Forderungen den Spezialisten überlassen, die sich bereits in der Privatwirtschaft durch ihre seriöse Tätigkeit bewährt hätten. Deutliche Mehreinnahmen seien so möglich. "Solche Überlegungen in die Tat umzusetzen, ist das Gebot der Stunde", so Spitz.
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Private Überschuldung verhindert rechtzeitige Zahlungen
 
Hauptgründe, warum Verbraucher derzeit mit ihren Zahlungsverpflichtungen ins Hintertreffen geraten sind, sind nach Bericht der Inkassounternehmen Überschuldung (88 Prozent bestätigen das) und Arbeitslosigkeit (67 Prozent). Der Faktor Jobverlust hat jedoch an Bedeutung verloren. Noch vor einem Jahr nannten 82 Prozent der Inkassounternehmen Arbeitslosigkeit als Nichtzahlgrund. Weiterhin bemängeln 54 Prozent, dass Privatschuldner Rechnungen absichtlich nicht oder zu spät bezahlen, 48 Prozent sagen, dass ein momentaner Liquiditätsengpass die Ursache sei.
 
Wirtschaftskrise harte Zäsur, die nachwirkt
 
Trotz Aufschwungs sind nach wie vor viele Verbraucher in Deutschland überschuldet. Über drei Millionen Haushalte haben so viele Verbindlichkeiten angehäuft, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr dazu in der Lage sind, diese zu bedienen. "Die Wirtschaftskrise bedeutete für sie eine Zäsur", so Spitz. "Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste etwa durch Kurzarbeit waren für viele bereits verschuldete Verbraucher der Tropfen, der das Schuldenfass zum Überlaufen gebracht hat. Und leider haben viele von ihnen den persönlichen Anschluss an die gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung bislang nicht geschafft."
 
Die Folge: Auch in diesem Jahr wird es wieder voraussichtlich rund 110.000 Verbraucherinsolvenzen geben (2010: 108.798).
 
Verbraucherinsolvenz: Viele schaffen den Neuanfang nicht
 
Gläubiger sollten ihre Forderungen sichern, denn eine Privatinsolvenz ihrer Schuldner könnte zu beträchtlichen Verlusten führen. "Wir wissen: Die meisten Privatinsolvenzen sind sogenannte Nullpläne", so Spitz, "bei denen die Gläubiger ihre Forderungen zu einem überwiegenden Teil ausbuchen müssen. So wichtig diese Entschuldungschance für redliche Schuldner ist, um einen wirtschaftlichen Neuanfang für sich und ihre Familien gestalten zu können, so richtig ist es aber auch, eine vorgerichtliche Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner zu suchen, wenn ein Verbraucher in schwerwiegende Zahlungsschwierigkeiten gerät." Spitz ruft in Erinnerung, dass es eines der wichtigsten Ziele bei der Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens vor mittlerweile zwölf Jahren war, eine bestmögliche Befriedigung der Gläubigerinteressen zu erreichen. "In der Praxis ist davon leider nicht viel übrig geblieben", so der Verbandspräsident. Dabei ist es auch im Interesse der Schuldner, eine gütliche Einigung mit ihren Gläubigern zu erreichen. "Eine Insolvenz bedeutet immer einen harten Einschnitt in der Lebensplanung", so Spitz, "und oft schaffen die Betroffenen auch nach der Restschuldbefreiung den wirtschaftlichen Neuanfang nicht. Unsere Erfahrung zeigt aber: In den meisten Fällen ist eine Einigung mit den Gläubigern möglich. Im Übrigen kann man die vorgerichtliche Einigung wesentlich unbürokratischer erreichen, und sie ist auch günstiger für die Allgemeinheit, als es ein teures Gerichtsverfahren ist, auf dessen Kosten die Justizkassen und damit die Steuerzahler meist sitzen bleiben."
 
BDIU kritisiert Halbierung der Wohlverhaltensperiode
 
Die vom Bundesjustizministerium angestrebte Halbierung der Wohlverhaltensperiode bis zur Restschuldbefreiung von aktuell sechs auf drei Jahre kritisiert der Verband. "Hier sind die Gläubigerrechte in Gefahr - auch wenn die Regierung die Möglichkeit zur Verfahrensverkürzung an Bedingungen für die Schuldner knüpfen will", so Spitz. "Die Stärkung der vorgerichtlichen Einigung und mehr Maßnahmen zur effektiven Schuldenprävention wären das richtige
Signal."
 
Insgesamt erwarten die Inkassounternehmen, dass sich die Zahlungsmoral weiter stabilisieren und verbessern wird. "Wir sind auf einem sehr guten Weg", bescheidet Spitz. "Der Aufschwung ist robust, Unternehmen und Verbraucher haben mehr Geld im Portemonnaie. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, das Abrutschen weiterer Verbraucher in Überschuldung zu verhindern und die finanzielle Aufstellung der Kommunen zu stabilisieren. Für beide Maßnahmen zeigt unsere Frühjahrsumfrage dringenden Handlungsbedarf."

Quelle: BDIU