Deutscher Mittelstand leidet unter schlechter Zahlungsmoral

Die Turbulenzen an den Finanzmärkten bedrohen zunehmend auch den deutschen Mittelstand. Besonders in der Dienstleistungsbranche, dem Handwerk und dem Baugewerbe zahlen Kunden schlecht.Trotz der weiterhin hohen Privatverschuldung rechnen die deutschen Inkassounternehmen mit einem Rückgang privater Insolvenzen auf rund 100.000 (Vorjahr: 105.238). Dies sind Ergebnisse der traditionellen Herbstumfrage, die der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. (BDIU), Berlin, jetzt unter seinen 539 Mitgliedsunternehmen durchgeführt hat.

Die internationale Finanzkrise beeinträchtigt jetzt auch das Zahlungsverhalten in Deutschland. In der traditionellen Herbstumfrage unter den 539 Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU) erwarten 45 Prozent der Befragten, dass die Rechnungstreue gewerblicher und privater Schuldner im kommenden Jahr zurückgehen wird. Das ist eine deutliche Trendeintrübung gegenüber dem Frühjahr. Vor sechs Monaten hatten noch 78 Prozent der BDIU-Mitglieder mit einem gleich bleibenden oder sogar besseren Zahlungsverhalten gerechnet. "Das bedeutet zwar noch nicht, dass die Finanzkrise bereits jetzt die Realwirtschaft erreicht hat", so Wolfgang Spitz, Präsident des Verbandes, anlässlich der Vorstellung der BDIU-Herbstumfrage am Dienstag in Berlin. "Aber es bedeutet sehr wohl, dass die Erholung beim Zahlungsverhalten, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten, nun beendet ist."

Aktuell gefährden säumige Kunden die Liquidität insbesondere von Unternehmen des deutschen Mittelstands. 79 Prozent der Inkassounternehmen berichten, dass die Dienstleistungsbranche zurzeit besondere Probleme mit dem Zahlungsverhalten ihrer Kunden hat. Auf Platz 2 und 3 folgen Handwerksunternehmen mit 57 Prozent und das Baugewerbe mit 50 Prozent.

Offene Rechnungen mit Dominoeffekt

Vielfach beobachten die Inkassounternehmen dabei einen regelrechten Dominoeffekt: Denn wenn die eigenen Kunden nicht zahlen, fehlt es den Gläubigerfirmen in der Folge an Liquidität, um selbst ihre Zahlungsverpflichtungen rechtzeitig zu bedienen. 63 Prozent der Inkassounternehmen melden in der Herbstumfrage, dass säumige gewerbliche Schuldner hohe Zahlungsausfälle eigener Kunden verzeichnen.

Finanzkrise beeinflusst Privatschuldner bisher kaum

Kritisch sehen die Befragten das Zahlungsverhalten privater Schuldner. Ein Drittel der BDIU-Unternehmen (34 Prozent) berichten, dass private Schuldner zurzeit ihre Rechnungen schlechter zahlen als noch im Frühjahr. Häufigste Gründe, warum sie in Rückstand geraten oder Forderungen nicht begleichen, sind laut Herbstumfrage Überschuldung (84 Prozent der Inkassounternehmen bestätigen das) und Arbeitslosigkeit (73 Prozent; Mehrfachnennungen waren möglich). 53 Prozent haben außerdem beobachtet, dass säumige Verbraucher ihre Rechnungen absichtlich nicht oder zu spät bezahlen. Nur 12 Prozent der Umfrageteilnehmer machen die Angabe, dass das Bezahlen der fälligen Rechnungen schlicht vergessen worden sei.

"Das Zahlungsverhalten der privaten Schuldner ist zwar nicht besonders gut, aber es hat sich durch die Finanzkrise aktuell noch nicht weiter verschlechtert", erläutert der BDIU-Präsident. "Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen sinkt sogar."

Für 2008 erwarten die Inkassounternehmen rund 100.000 private Insolvenzen und damit etwa 5 Prozent weniger als noch im Vorjahr (105.238). Erstmals seit Einführung des privaten Insolvenzverfahrens 1999 werden damit im Jahresvergleich weniger Menschen von der Möglichkeit einer Entschuldung durch Gerichte Gebrauch machen.

Verbraucherinsolvenzen nehmen ab

"Dieser Trend ist zwar erfreulich", so BDIU-Präsident Spitz, "aber wohl nicht nachhaltig." Der Grund: Die private Verschuldung verharrt weiterhin auf einem hohen Niveau. Rund 3 Millionen Haushalte gelten als überschuldet. Das heißt, ihre Einnahmen reichen dauerhaft nicht aus, um ihre Ausgaben - etwa für Miete, Lebensmittel und das Bedienen bestehender Zahlungsverpflichtungen - zu decken. Sie alle könnten im Prinzip eine private Insolvenz anstreben. Dass die Fallzahlen in diesem Jahr dennoch rückläufig sind, hat nach Aussage des BDIU andere Gründe. So bewege die bevorstehende Reform des Insolvenzverfahrens viele Überschuldete und deren Berater dazu, mit einer Antragstellung noch zu warten. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hatte im Frühjahr ein Modell für ein vereinfachtes Entschuldungsverfahren vorgestellt. Im Kern sieht es vor, dass mittellose Schuldner das gerichtliche Insolvenzverfahren überspringen und sofort nach Antragstellung in die sechs Jahre dauernde Wohlverhaltensperiode übergehen können, an deren Ende die Befreiung von ihren restlichen Schulden steht. Zurzeit ist noch unklar, wann diese Reform in Kraft treten wird.

Ein weiterer Grund für den Rückgang der Verbraucherinsolvenzen liegt laut BDIU im knappen Beratungsangebot für Schuldner. Vor der Antragstellung bei Gericht müssen Betroffene zunächst eine Einigung mit ihren Gläubigern versuchen. Dazu benötigen sie die Hilfe entweder eines Rechtsanwalts oder einer öffentlichen Schuldnerberatungsstelle. "Rechtsanwaltliche Beratung ist ein Kostenfaktor im Verbraucherinsolvenzverfahren, den die Gerichte derzeit seltener bewilligen", erläutert Spitz. Daher müssten Schuldner auf die öffentlichen Schuldnerberatungsstellen ausweichen. Deren Kapazitäten sind jedoch knapp, Betroffene müssen vielfach ein halbes Jahr und länger auf einen Termin warten. Spitz: "Die Wartelisten bei den Schuldnerberatern sind länger geworden und die Warteschlangen vor Gericht im Gegenzug kürzer. Das ist ein Verschiebebahnhof, der weder Schuldnern noch Gläubigern bei der Lösung ihrer finanziellen Schwierigkeiten hilft."

Mehr Finanzkompetenz vermitteln

In der Herbstumfrage sollten die Inkassounternehmen beurteilen, welche Maßnahmen am besten dazu beitragen könnten, die private Verschuldung nachhaltig einzudämmen. 78 Prozent der Befragten fordern, das Vermitteln von Finanzkompetenz besser im Bildungssystem zu verankern. Wichtig sei aber auch, dass die Unternehmen ihr Forderungsmanagement konsequent durchführten. Dieser Meinung sind 71 Prozent der BDIU-Unternehmen.

Mangelnde Finanzkompetenz ist auch ein häufiger Grund, warum junge Menschen sich verschulden. Wolfgang Spitz: "Viele junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren haben im eigenen Elternhaus ein schlechtes Vorbild, was den Umgang mit Geld angeht. Ihre oftmals sorglose Nutzung von Handys und hohe Ausgaben beispielsweise für CDs, DVDs und MP3-Player tragen dazu bei, dass sie bereits in jungen Jahren hohe Schuldenberge anhäufen. Wir wünschen uns daher, dass der Umgang mit Geld und Schulden in den Schulen stärker thematisiert wird, als das bislang der Fall ist."

Öffentliche Hand nutzt externes Inkasso

Problematisch ist zudem das Zahlungsverhalten des öffentlichen Sektors. Nur 2 Prozent der Inkassounternehmen berichten, dass öffentliche Auftraggeber ihre Rechnungen aktuell besser bezahlen. Der BDIU sieht unter anderem ein optimierungswürdiges Liquiditätsmanagement der Kommunen als Ursache dafür. Insbesondere die hohen Außenstände seien zu kritisieren. "Alleine von 1996 bis heute sind die offenen Forderungen der Städte und Gemeinden von rund 7,5 Milliarden auf jetzt über 12 Milliarden Euro gestiegen", sagt BDIU-Präsident Spitz. Dies sei nicht zuletzt den stark gestiegenen Ausgaben für Maßnahmen der sozialen Sicherung zu schulden. "Gerade im Bereich der Sozialleistungen sind bei den Kommunen in den letzten Jahren verstärkt offene Forderungen entstanden, etwa für Kita-Beiträge oder Unterhaltsvorschusszahlungen. Das hat die Bilanzen zusätzlich verschlechtert", beschreibt Spitz. Einige Städte, darunter zum Beispiel Leipzig und Dresden, planen nun im Gegenzug, auch Inkassounternehmen beim Realisieren dieser Forderungen einzusetzen. "Dies ist grundsätzlich zu begrüßen", so Spitz. "Städte und Gemeinden können so ihre Einnahmen zum Teil deutlich verbessern. Rechtlich sind hier einige Möglichkeiten denkbar. Von stabilen kommunalen Haushalten profitieren letztlich alle Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen vor Ort."

Aber auch Unternehmen sollten ihre Prozesse jetzt auf den Prüfstand stellen: "Für die Betriebe wird es immer wichtiger, unternehmensintern dafür zu sorgen, dass die Forderungen gegenüber den eigenen Kunden erfolgreich geltend gemacht werden. Darüber hinaus sollten sie Alternativen zu klassischen Krediten suchen", rät Spitz. Denkbar sei zum Beispiel das Factoring, bei dem der Lieferant seine Forderungen verkaufe und so schnell seine Liquidität stärke. Spitz: "Viele Kunden bezahlen ihre Rechnungen sehr spät, um gezielt Lieferantenkredite auszunutzen. Wer offen ist für neue Finanzierungsformen, kann sich erfolgreich aus der Abhängigkeit von Krediten lösen."

Unverzichtbar ist vor allem ein professionelles Forderungsmanagement und Mahnwesen sowie ein optimiertes Kostenmanagement. "Wer sich hier gut aufstellt oder sich Unterstützung durch Inkassounternehmen verschafft, wappnet sich besser gegen den konjunkturellen Einbruch und die Finanzkrise."
 
Quelle: BDIU