Restschuldbefreiung: Schuldner muss verantwortungsvoll handeln

  1. Grobe Fahrlässigkeit kann bereits zu bejahen sein, wenn der Schuldner ein von seinem Verfahrensbevollmächtigten unrichtig ausgefülltes Formular ungeprüft unterschreibt.
  2. Die Sperrfrist von zehn Jahren für einen erneuten Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gilt auch, wenn die Restschuldbefreiung nach Befriedigung aller Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen angemeldet hatten und deren Forderungen festgestellt worden waren, vorzeitig erteilt worden war.
  3. Der Zweck des Versagungsgrunds des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO liegt darin, einen Missbrauch des Insolvenzverfahrens als Mittel zur wiederholten Reduzierung der Schuldenlast zu verhindern. Die Restschuldbefreiung soll als Hilfe für unverschuldet in Not geratene Personen dienen, nicht als Zuflucht für diejenigen, die bewusst finanzielle Risiken auf andere abwälzen wollen.

(BGH 11.5.10, IX ZB 167/09).

Sachverhalt
Über das Vermögen der Schuldnerin wurde auf einen Eigenantrag das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Ihr wurde vorzeitig die Restschuldbefreiung erteilt, nachdem alle Massekosten, alle bekannten Massegläubiger sowie alle Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen angemeldet hatten, befriedigt worden waren. Zugleich wurde das Insolvenzverfahren nach Vollzug der Schlussverteilung aufgehoben.

Zwei Jahre später beantragte der Gläubiger wegen einer Forderung von über 184.000EUR erneut die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Diese selbst beantragte die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, Restschuldbefreiung sowie Bewilligung der Verfahrenskostenstundung. Auf dem von der Schuldnerin unterzeichneten "Antrag auf Verfahrenskostenstundung" war der vorgedruckte Satz "In den letzten zehn Jahren vor meinem Eröffnungsantrag oder danach ist mir weder die Restschuldbefreiung erteilt noch versagt worden ..." angekreuzt.

Das Insolvenzgericht hat die ursprünglich bewilligte Stundung der Verfahrenskosten aufgehoben. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin weiter die Aufhebung des die Stundung aufhebenden Beschlusses erreichen.

Entscheidungsgründe
Das Insolvenzgericht kann die Stundung der Verfahrenskosten aufheben, wenn der Schuldner vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben über Umstände gemacht hat, die für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Stundung maßgebend sind (§ 4c Nr. 1 InsO). In ihrem Antrag auf Verfahrenskostenstundung hat die Schuldnerin angegeben, in den letzten zehn Jahren vor ihrem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei ihr nicht schon einmal die Restschuldbefreiung erteilt worden. Dies war falsch. Mit Beschluss vom 21.9.06 war ihr Restschuldbefreiung erteilt worden.

Die Schuldnerin hat grob fahrlässig gehandelt. Der Begriff "grobe Fahrlässigkeit" ist ein Rechtsbegriff. Die Feststellung seiner tatsächlichen Voraussetzungen und deren Würdigung obliegen dem Tatrichter. Das Ergebnis, zu dem er gelangt ist, kann vom Rechtsbeschwerdegericht lediglich daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt worden ist oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat. "Grobe Fahrlässigkeit" beschreibt ein Verhalten, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben worden sind und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte; es handelt sich um eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung.

Ein in diesem Sinne grob fahrlässiges Verhalten ist darin zu sehen, dass die Schuldnerin - wie sie behauptet hat - das von ihrem Verfahrensbevollmächtigten ausgefüllte und ihr zugesandte Formular ungelesen unterschrieben hat. Unmittelbar über dem Platz für die Unterschrift befand sich der durch eine Einrahmung gesondert hervorgehobene Text: "Ich versichere hiermit, dass meine Angaben vollständig und wahr sind. Mir ist bekannt, dass vorsätzliche Falschangaben strafbar sein können". Wer eine solche Erklärung unterschreibt, ohne den weiteren als richtig bestätigten Text - der nicht mehr als eine DIN A 4-Seite umfasste und lediglich tatsächliche Angaben enthielt - auch nur zu lesen, lässt dasjenige außer Acht, was in der gegebenen Situation jedem einleuchten würde.

Das LG hat im Rahmen der gebotenen Würdigung des Verhaltens weder relevante Umstände außer Acht gelassen noch den Anspruch der Schuldnerin auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Schuldnerin hat vorgetragen, ihr Verfahrensbevollmächtigter habe sie auch im ersten Insolvenzverfahren vertreten und die vorzeitige Restschuldbefreiung für sie erwirkt; sie sei daher davon ausgegangen, dass die Antragsunterlagen zutreffend ausgefüllt worden seien. Mit diesem Vorbringen hat sich das LG nicht ausdrücklich befasst. Es liegt der angefochtenen Entscheidung jedoch unausgesprochen zugrunde, denn anderenfalls - wenn die Schuldnerin das Ausfüllen der Formulare einer über ihre Verhältnisse nicht unterrichteten Person überlassen hätte - wäre das behauptete "blinde" Unterschreiben nicht nur als grobe Fahrlässigkeit, sondern sogar als mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich jeglicher im Text enthaltener Unrichtigkeit zu werten gewesen.

Die Schuldnerin verweist weiter darauf, dass die Restschuldbefreiung im ersten Insolvenzverfahren vorzeitig nach Befriedigung aller Gläubiger erteilt worden sei, deren Forderungen im Verfahren festgestellt worden seien. Die Angabe, dass in den vorangegangenen zehn Jahren keine Restschuldbefreiung erteilt worden sei, sei unter diesen Umständen vertretbar; die Schuldnerin habe davon ausgehen dürfen, dass ihr Restschuldbefreiung weder erteilt noch versagt worden sei. Die Schuldnerin hat jedoch nicht behauptet, das ausgefüllte Formular gelesen und deshalb unterschrieben zu haben, weil sie den angekreuzten Satz unter Berücksichtigung aller Umstände für zutreffend gehalten habe. Ihr Vortrag ging dahin, sie habe das ausgefüllte Formular ungeprüft unterzeichnet. Das als übergangen gerügte Vorbringen bezog sich nicht auf die Frage der groben Fahrlässigkeit, sondern darauf, ob die Restschuldbefreiung im ersten Insolvenzverfahren überhaupt geeignet war, die Sperrfrist des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO auszulösen. Mit dieser Frage hat sich das LG ausführlich befasst.

Der Beschluss, mit dem im ersten Insolvenzverfahren die Restschuldbefreiung erteilt worden war, stellt einen Umstand dar, der für die Stundung maßgebend war (vgl. § 4c Nr. 1 InsO). Die Erteilung der Restschuldbefreiung in den letzten zehn Jahren vor dem erneuten Eröffnungsantrag ist ein Grund, die Restschuldbefreiung zu versagen (§ 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO); liegt er vor, ist eine Stundung der Verfahrenskosten ausgeschlossen (§ 4a Abs. 1 S. 3 und 4 InsO).

Dem Wortlaut nach sind die Voraussetzungen des Versagungstatbestands des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfüllt. Der Schuldnerin ist Restschuldbefreiung erteilt worden. Der Beschluss fiel in den relevanten Zeitraum von zehn Jahren vor dem erneuten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welcher am 31.1.09 beim Insolvenzgericht einging.

Die Schuldnerin meint, der Beschluss im ersten Verfahren habe keine rechtlichen Wirkungen gezeitigt, weil sämtliche im Verfahren angemeldeten und anerkannten Forderungen vor der Erteilung der Restschuldbefreiung beglichen worden seien. Diesen Fall wolle § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO InsO ersichtlich nicht erfassen. Dem stimmt der BGH nicht zu.

Der Zweck des Versagungsgrunds des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO liegt darin, einen Missbrauch des Insolvenzverfahrens als Mittel zur wiederholten Reduzierung der Schuldenlast zu verhindern. Die Restschuldbefreiung soll als Hilfe für unverschuldet in Not geratene Personen dienen, nicht als Zuflucht für diejenigen, die bewusst finanzielle Risiken auf andere abwälzen wollen. Deshalb ist eine Sperrwirkung der einmal erteilten Befreiung zweckmäßig (BT-Drucksache 12/2443, S. 190 zu 239 RegE). Wird keine Restschuldbefreiung erteilt, greift der Versagungstatbestand folgerichtig nicht ein. Entsprechend ließe sich überlegen, ob ein Beschluss über die Restschuldbefreiung, der "pro forma" ergeht, um etwa die Wohlverhaltensperiode vorzeitig zu einem Abschluss zu bringen, der aber wirkungslos bleibt, weil die Insolvenzgläubiger zuvor restlos befriedigt worden sind, keine Sperrwirkung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO entfaltet. Es ließe sich nämlich nicht feststellen, dass der Schuldner rücksichtslos auf Kosten und Risiko seiner Gläubiger gewirtschaftet hätte. Im Ergebnis ist die Frage jedoch zu verneinen. Der Beschluss erging nicht nur der Form nach. Die Restschuldbefreiung wirkt gegen alle Gläubiger, auch solche, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben (§ 301 Abs. 1 S. 2 InsO). Solche Forderungen sind zwar im vorliegenden Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bekannt geworden. Das ändert jedoch nichts an den mit dem Beschluss über die Restschuldbefreiung verbundenen Rechtswirkungen (§ 301 Abs. 1 InsO). Die immerhin anwaltlich vertretene Schuldnerin hätte die Möglichkeit gehabt, bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihren Antrag auf Restschuldbefreiung zurückzunehmen, um der Sperrfrist des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu entgehen (vgl. dazu Mohrbutter/Ringstmeier/Pape, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl., 17 Rn. 65), oder aber die Einstellung des Insolvenzverfahrens nach § 212 InsO beantragen können. Von diesen Möglichkeiten hat sie keinen Gebrauch gemacht. Nachdem sie den Beschluss erwirkt hat, kann sie nun nicht erwarten, so gestellt zu werden, als sei er nicht ergangen.

Unabhängig hiervon sieht der Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht vor, dass, wenn seine tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, zusätzlich noch anhand der besonderen Umstände des einzelnen Falls geprüft wird, ob dem Schuldner tatsächlich ein unredliches Verhalten vorgeworfen werden kann oder ob eine Ausnahme von der Sperrfrist möglich oder sogar geboten ist. Die Gründe, die zu der erneuten Verschuldung geführt haben, sind unerheblich. Selbst wenn ein Schuldner also nach Erteilung der Restschuldbefreiung unverschuldet - etwa wegen Krankheit - erneut in Not gerät, greift die Sperrfrist des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Eine einschränkende Auslegung der klaren und eindeutigen Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO dahingehend, dass eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung von ihr nicht erfasst wird, weil die Gläubiger, die ihre Forderungen im ersten Insolvenzverfahren angemeldet hatten, vollständig befriedigt wurden oder einer vergleichsweisen Erledigung ihrer Forderungen zugestimmt haben, ist ebenso wenig möglich.

Praxishinweis
Völlig zu Recht setzt der BGH seine strenge Linie im Verbraucherinsolvenzverfahren fort und verlangt dem Schuldner ein gehobenes Maß an Eigenverantwortung ab. Er ist verpflichtet alle Verfahrensangaben zu prüfen und für die Richtigkeit auch dann einzustehen, wenn er sich Hilfe Dritter bedient. Er kann sich also nicht hinter einem Bevollmächtigten "verstecken". Dabei bleibt unerheblich, ob der Bevollmächtigte ein Rechtsanwalt oder eine Schuldnerberatung ist.

Schon aufgrund des Zeitablaufs werden Konstellationen wie im BGH entschiedenen Fall zunehmen. Die einmal erteilte Restschuldbefreiung entlässt den Schuldner nämlich nicht immer in eine bessere Zukunft. Da es dem Schuldner sogar erlaubt ist, während der Wohlverhaltensphase neue Verbindlichkeiten zu begründen, steht mancher trotz erteilter Restschuldbefreiung wieder vor der Situation nicht zu beherrschender Schulden.

Für den Gläubiger ist die Prüfung deshalb durchaus lohnend, ob dem Schuldner schon einmal die Restschuldbefreiung gewährt wurde. Hierzu kann er Anfragen an die Insolvenzgerichte der letzten Wohnorte des Schuldners richten oder sich unter www.insolvenzbekanntmachungen.de informieren.

Quelle: Forderungsmanagement professionell