Europäische Kommission empfiehlt europaweiten Pfändungsbeschluss

Bis zu 600 Millionen EUR könnten jährlich an grenzüberschreitenden Schulden durch einen neuen Vorschlag, der heute vorgestellt wurde, leichter eingetrieben werden. Die Europäische Kommission empfiehlt die Einführung eines europaweiten Pfändungsbeschlusses, um die Eintreibung grenzüberschreitender Schulden zu erleichtern, ein Problem, das sowohl Bürger als auch Unternehmen betrifft.

Was kann ein Unternehmen tun, um Geldforderungen einzutreiben, wenn ein Lieferant in einem anderen EU-Land seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt? Was kann ein einzelner Bürger tun, wenn Waren, die er über das Internet bestellt hat, nie geliefert wurden? Oder wenn ein Elternteil , der im Ausland lebt, den Unterhalt nicht überweist? Derzeit gibt es für solche Probleme keine einfachen Lösungen, und die Durchsetzung solcher Zahlungsansprüche kann nicht nur teuer, sondern auch zeitaufwändig sein.

Europäische Kommission hilft Unternehmen, weitere 600 Millionen Euro an Außenständen grenzüberschreitend einzutreiben

Brüssel, den 25. Juli 2011 – Ein kleines italienisches Käseunternehmen beliefert einen Tiefkühlpizzahersteller in Frankreich mit Mozzarella. Als das französische Unternehmen in Zahlungsverzug gerät, stellt die italienische Firma ihre Lieferungen ein, bleibt aber auf unbeglichenen Rechnungen in Höhe von Tausenden von Euro sitzen. Wie kann das italienische Unternehmen die Schulden eintreiben? Diese Frage ist momentan nicht leicht zu beantworten. Betrüger können problemlos Geld von einem Mitgliedstaat in einen anderen verschieben und Guthaben auf verschiedenen Konten in mehreren Ländern deponieren. Problematisch wird es auch, wenn über das Internet erworbene Waren nie eintreffen oder ein im Ausland lebender Elternteil keine Unterhaltszahlungen leistet. Ob und inwieweit Banken angehalten werden können, Geld von Kundenkonten an Gläubiger auszuzahlen, ist derzeit im innerstaatlichen Recht geregelt. Die aktuelle Rechtslage in den 27 Mitgliedstaaten ist kompliziert und hat langwierige und kostenaufwändige Verfahren zur Folge. Rund eine Million kleinerer Unternehmen haben Schwierigkeiten, im Ausland Schulden einzutreiben. So werden Forderungen in Höhe von bis zu 600 Millionen Euro jährlich unnötigerweise abgeschrieben, weil sich die Unternehmen nicht auf kostspielige, undurchsichtige Rechtsstreitigkeiten in anderen Ländern einlassen wollen. Um Bürgern und Unternehmen die grenzüberschreitende Eintreibung von Forderungen zu erleichtern, legt die Europäische Kommission heute einen Vorschlag für einen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung vor, der EU-weit zur Anwendung gelangen soll.

"Wir müssen dafür sorgen, dass Forderungen im Ausland genauso einfach eingetrieben werden können wie im Inland", erklärte dazu die EU-Justizkommissarin Viviane Reding. "Aufgrund uneinbringlicher Forderungen gehen Unternehmen ca. 2,6 % ihres Jahresumsatzes verloren. Das ist eine Schwachstelle unseres Binnenmarktes, bei der dringend Abhilfe geboten ist! Die Unternehmen brauchen eine einfache Lösung – einen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung, der europaweit wirksam ist –, damit Gelder gesperrt werden können, bis ein Gericht über die entsprechenden Forderungen entschieden hat. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage ist rasches Handeln vonnöten. Jeder Euro zählt, vor allem für kleinere Unternehmen."

99 % der Unternehmen in der EU sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Rund eine Million von ihnen sehen sich Schwierigkeiten bei der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen gegenüber. Die entsprechenden Verfahren sind kompliziert und verursachen enorme Kosten für Unternehmen, die in der EU grenzüberschreitend Handel betreiben wollen. Problematisch sind dabei nicht nur die unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften, sondern auch etwaige zusätzliche Anwalts- und Übersetzungskosten, die den Unternehmen entstehen. Ähnlichen Schwierigkeiten sehen sich Privatpersonen gegenüber, die ihr Geld von unseriösen Geschäftsleuten in einem anderen EU-Land zurückbekommen oder ein unterhaltssäumiges Elternteil im Ausland zur Rechenschaft ziehen wollen.

Ziel des heute vorgelegten Legislativvorschlags ist es, die grenzüberschreitende Eintreibung von Forderungen zu erleichtern und Gläubigern in dieser Hinsicht mehr Sicherheit zu bieten und somit das Vertrauen in den Handel im EU-Binnenmarkt zu stärken. Der Vorschlag ist Teil der Kommissionsagenda "Justiz für Wachstum", die darauf abstellt, das Potenzial des gemeinsamen Rechtsraums der EU zugunsten von Handel und Wachstum auszuschöpfen.

Hintergrund

Mit der Verordnung wird ein Europäischer Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung eingeführt, der Gläubigern ermöglichen soll, den geschuldeten Betrag auf einem Schuldnerkonto sperren zu lassen. Der Beschluss kann in Verfahren zur Eintreibung von Forderungen von maßgeblicher Bedeutung sein, da er verhindert, dass Schuldner vor Erwirkung und Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache Geld von ihrem Konto abheben oder ihr Vermögen beiseite schaffen können. Damit erhöhen sich die Chancen auf eine erfolgreiche Eintreibung von Forderungen im Ausland.

Der neue Europäische Beschluss wird Gläubiger in die Lage versetzen, in allen EU-Mitgliedstaaten unter denselben Bedingungen Bankguthaben vorläufig pfänden zu lassen. Wichtig ist dabei auch, dass die nationalen Systeme zur vorläufigen Pfändung von Guthaben unverändert bestehen bleiben. Der Kommissionsvorschlag sieht lediglich vor, dass parallel dazu ein europäisches Verfahren eingeführt wird, auf das Gläubiger zurückgreifen können, um Forderungen in anderen EU-Ländern einzutreiben. Bei dem neuen Verfahren handelt es sich um eine einstweilige Sicherungsmaßnahme. Um das Geld tatsächlich zu erlangen, muss der Gläubiger nach dem innerstaatlichen Recht oder mit einem der vereinfachten europäischen Verfahren (wie dem europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen) eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung in der Hauptsache erwirken.

Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung wird Gläubigern als Alternative zu den im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Instrumenten zur Verfügung stehen. Er wird auf die Sicherung von Konten ausgerichtet sein, also lediglich die Sperrung von Schuldnerkonten bewirken, nicht aber die Auszahlung von Geld an Gläubiger gestatten. Er wird nur in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug zur Anwendung gelangen und ohne vorherige Anhörung des Schuldners erlassen. Das heißt, er wird erlassen, ohne dass der Schuldner davon weiß; somit bleibt der "Überraschungseffekt" erhalten. Der Rechtsakt enthält einheitliche Zuständigkeitsvorschriften und regelt folgende Aspekte: Bedingungen und Verfahren für den Erlass des Beschlusses, Offenlegungsbeschluss in Bezug auf Bankkonten, Vollstreckung durch nationale Gerichte und Behörden, Rechtsbehelfe des Schuldners und sonstige Elemente des Schuldnerschutzes.

Der Verordnungsvorschlag wird nun an das Europäische Parlament und den Rat der EU weitergeleitet; seine Annahme erfolgt im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit.

Die vorgeschlagene Verordnung würde einen neuen "europäischen Pfändungsbeschluss" einführen, der es dem Gläubiger ermöglichen würde, den geschuldeten Betrag auf einem Bankkonto des Schuldners zu pfänden. Auf diese Weise könnte der Schuldner daran gehindert werden, sein Kontoguthaben abzuheben, bevor ein Gericht eine Entscheidung getroffen hat. Eine solche Veränderung würde nicht nur die Aussichten auf eine erfolgreiche Vollstreckung grenzüberschreitender Geldforderungen verbessern. Sie würde auch das Vertrauen der Menschen in den grenzüberschreitenden Handel im europäischen Binnenmarkt stärken. Die nationalen Systeme für die Pfändung von Vermögenswerten würden davon nicht berührt werden. Es würde lediglich ein europäisches Verfahren eingeführt werden, das Gläubiger nutzen könnten, um ihre Forderungen zu vollstrecken.

"Unternehmen verlieren jährlich rund 2,6% ihres Umsatzes durch Forderungsausfälle", erklärte die für Justiz zuständige Kommissarin Viviane Reding. "In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten brauchen Unternehmen schnelle Antworten." Der heutige Vorschlag ist Teil der Agenda der Kommission "Justice for Growth", die versucht, das Potenzial des europäischen Rechtsraums für Handel und Wachstum nutzbar zu machen.

Quelle: ec.europa.eu